Moritz Majce

Es war einmal

Einzelaktion | Solo Action | 2006
Es war einmal
links: Teilausschnitt des Aktionsareals, rechts: Zwischenraum | left: partial view of the Action Areal, right: Interspace

Was damals geschah

Die »Einzelaktion« ist ein Format-Mix aus Theateraufführung und Kunstausstellung. Bei Es war einmal entfaltete sich der Handlungs­rahmen der Aktion im Spannungsfeld von Wiederholung und Ein­mal­ig­keit. Das Geschehen war in sechzehn simultan ab­lauf­en­de Situa­tionen aufgeteilt, die jeweils nur einzeln erlebt werden konnten und alle im Umkreis der Akademie der bildenden Künste in Wien statt­fanden: in einer Parkgarage und einem Kino, auf Autofahrten, in Ho­tel­zimmern, Hinterhöfen, Lokalen, Lagern, öffent­lichen Plätzen und Wohnungen.

Die Aktion begann in einem leer stehenden Raum – dem »Zwischen­raum« –, in dem eine Lobbysituation aufgebaut war. Der Zwischen­raum ist ein wesentliches Element jeder Einzelaktion, er hat einerseits die Funktion einer Schwelle von der realen Umwelt in die areale Insze­nierung und dient andererseits als Aufenthaltsraum für die nach Beendigung ihres Teilgeschehens wieder Zurückgekehrten. Hier startete das Geschehen: Den Teilnehmenden wurden die Regeln der Aktion erklärt, anschließend wurden sie von Weggefährten je­weils separat zu ihrem »Ereignisraum« – so die Bezeichnung für die Ein­zel­inszenierungen – und wieder zurück gebracht. Die an der Aktion teilnehmenden sechzehn Einzelgänger und Einzelgängerinnen waren in diesem Fall die Prüfungskommission der Professoren und Pro­fes­so­rin­nen der Akademie. Jeder Teilnehmende konnte nur ein­mal in einen einzigen Ereignisraum, das zur gleichen Zeit von­statten ge­hende Gesamtgeschehen war für keinen Einzelnen überschaubar.

Die Aufführung dauerte eine halbe Stunde. Wieder im Zwischenraum angelangt, stand es den Teilnehmenden nach Beendigung des Ge­schehens frei, sich über das im Alleingang Erlebte auszutauschen. Zur selben Zeit trafen sich die etwa 100 beteiligten Mitwirkenden (darunter professionelle und Laiendarsteller, Performer, Tänzer, u. a.) in einem für die Aktion genutzten nahe gelegenen Kino, um ebenso Gelegenheit zu erhalten, einander über das Erlebte zu erzählen und mehr über Ablauf und Zusammenhang der einzelnen Ereignisräume zu erfahren.

What happened then

The ‘solo action’ is a format-mix of theatre staging and art exhibition. In Es war einmal (Once upon a time) the action developed its theme around the antagonism of repetition and moment. The action was di­vi­ded into sixteen simultaneously proceeding situations which could each only be experienced by one visitor, and took all place around the Academy of Fine Arts in Vienna: in a multi-storey car park and a cine­ma, on car journeys, in hotel rooms, courtyards, stores, ware­houses, public squares and apartments.

The action began in a vacant room – the ‘interspace’ – in which a lobby situation had been set up. The interspace is a basic element of any solo action, on the one hand it works as a threshold from the real sur­round­ings into the areal action and on the other hand it is a gath­er­ing place for returning participants when their part of the action is over. Here the event started: The rules of the action were explained to participants, and subsequently they were each separately brought to their ‘event space’ – the name of the individual situations – by com­pa­ni­ons, who also brought them back afterwards. The sixteen solo wal­kers in this case comprised of the examination board of the pro­fes­sors of the Academy. Each participant could only go into one sin­gle event space one single time, making it impossible for in­di­vi­du­als to have an overview of the total proceedings simul­ta­neously taking place.

The act lasted for half an hour. When the event was over and they had returned to the interspace participants were free to talk to each other about the impressions they had experienced during their solo walks. At the same time the approximately 100 collaborators who were involved in the action (professional and lay actors, performers, dancers et al.) met at a nearby cinema, which was used for the event, in order to share their impressions with the others in the same way and find out more about the action and the overall context of the individual event spaces.
Es war einmal
links: Zwischenraum, rechts: Top-Kino | left: Interspace, right: Top Cinema

Begegnung im Alleingang

Es war einmal konnte man nur im Alleingang erleben. Es ging darum, die gewohnte Haltung des Rezipienten als Teil einer einem externen Schauspiel gegenüber un­beteiligten Zuschauerschaft durch den Einsatz anderer Spiel­re­geln zu Fall zu bringen – ohne ihn dabei zu überrumpeln. Die auf Erklärung und Beurteilung abzielende, sichere Distanz, an der man als Ausstellungsbesucher unter vielen bei der Betrachtung eines Kunstwerks festhält, sollte ausgesetzt werden – eine Art Umkehrung des Betrachterverhältnisses: hier ging es nicht ums Zuschauen, sondern um Vorgänge, um ein Geschehen, das den Betrachter an­blickt und zur Antwort auffordert. Solange man sich in der arealen Inszenierung befand, konnte man nicht anders als teil­zunehmen. Nicht so sehr das, was im einzelnen Erleben in Er­schei­nung tritt, war dabei das Entscheidende, sondern dass es ge­schieht – der Masse von Beobachtern und Richtern eine Komplizin, einen Ko-Akteur zu entreißen.

Solo Encounter

Es war einmal could only be experienced alone on a solo trip. The aim was to overthrow the conventional attitude of the recipient as an un­in­vol­ved viewer who is washed over by watching a spectacle by chan­ging the rules of the game – but without ambushing him. The safe distance directed towards explanation and judgement which one pre­serves while looking at a work of art as one exhibition visitor among many was to be suspended. A kind of inversion of the viewing relation­ship: here it was not about watching but about actions – about a hap­pen­ing that gazes at the viewer and asks for a response. As long as one was in an event space one could do nothing else but participate. It was not so much what emerged in individual ex­pe­ri­ence that was deci­sive but the fact that it happens – to snatch an accomplice, a co-actor from the mass of observers and judges.
Es war einmal
Verlassene Ereignisräume nach Beendigung der Aktion | Abandoned Event Spaces after the action has taken place

Verteilter Entzug

Jeder Einzelgänger konnte nur ein einziges Mal in jeweils ein Teil­stück der Aktion eintauchen. Dabei war jede Begegnung für jeden Alleingänger anders und im buchstäblichen Sinn einmalig, jeder bekam seine Fassung des Geschehens auf eigene und intime Weise. Es gab keinerlei Erklärung, Information oder Interpretation zu den jeweiligen Situationen, ging es doch gerade um den Verzicht von Überblick, Verständlichkeit, Geschlossenheit und um das Zusammen­spiel der Unüberschaubarkeit eines Ganzen mit der Öffnung auf den Augenblick.

Dispersed Withdrawal

Each solo walker could only dip into one part of the whole staging one single time, making each encounter different and literally unique for each participant. Each person experienced his version of occur­rences in his own inimitable and intimate way. There was no ex­pla­na­tion, no information or interpretation on the particular situ­ati­ons. Any claim for an overview, comprehensibility or com­ple­te­ness was re­jec­ted, as it was precisely about the interplay of the lack of overview of a whole with the opening up for the moment.
Es war einmal
Verlassene Ereignisräume nach Beendigung der Aktion | Abandoned Event Spaces after the action has taken place

Räumung des Areals

Bereits bei Betreten des »Zwischenraums« war man im Geschehen, und auch die Wege zu den »Ereignisräumen« folgten einer Drama­turgie. Der dazwischen liegende Stadtraum wurde zum erweiterten Aufführungs­areal transformiert – und damit auch der Blick auf an­sonsten Neben­sächliches. Es ging um Situationen, in denen sonst eindeutige Gren­zen verschwimmen und in denen un­gewiss wird, wo Kunst beginnt und wo sie endet – darum, eine behauptete Neutralität von Zeit und Raum zu verunmöglichen. Kein für sich bestehender Con­tainer-Raum, der die Grenzen zwischen künstlerischer Insze­nie­rung und rahmender Realität klar markieren würde, kein Jenseits der Büh­ne, in dem man seiner Zuschauerrolle versichert würde – alles war mög­lich­er­weise Teil der Inszenierung. Kein Werk aus­zu­stel­len, son­dern ein Areal aufzustellen, darum ging es.

Spacing the Areal

Upon entering the ‘interspace’ one was already in the midst of the action, as the routes to the ‘event spaces’ also continued an drama­turgy. The city space in between was transformed into an extended areal of action – and with it a look at what is otherwise peripheral. It was about creating situations in which otherwise clear borders be­come blurred, in which it becomes uncertain where art begins and where it ends, – any kind of predicated neutrality of time and space was ren­dered impossible. There was no independent con­tainer-space marking the boundaries between artistic performance and framing reality, nothing beyond stage in which one would be safely assured of his role as viewer. It was not about exhibiting a work but rather about installing an areal.
Es war einmal
Verlassene Ereignisräume nach Beendigung der Aktion | Abandoned Event Spaces after the action has taken place

Eine flüchtige Gemeinschaft

Wenn man herausfinden wollte was die anderen Einzelgänger erlebt hatten, konnte man mit ihnen im »Zwischenraum« Kontakt aufneh­men; keine Einzelerfahrung bot den Blick auf das Ganze, jede Erzähl­ung enthielt andere Ausschnitte, Bruchstücke, Perspektiven. Erzählte man einander aber, was man erlebt hatte, war man auch nicht mehr so rasch bei der Urteilsfindung – die zudem durch die ungewohnte Art der Beteiligung und die Unterschiedlichkeit des Erlebten er­schwert wurde. Letztlich ging es weniger um das richtige Zu­sam­men­setzen aller Einzelteile zum alles vereinigenden Gesamt­bild, als um die Möglichkeit des Zustandekommens einer temporären Ge­mein­schaft aus den Erfahrungen der Alleingänge.

Meinungsbildung findet immer von einem feststehenden Standpunkt aus statt. Eben dieser aber wurde entzogen, um die Beurteilungs­automatismen und vorgefassten Meinungen, deren reflexhafte Orien­tierung an bewährten Mustern und Haltegriffen, zu sabotieren. Es existiert daher auch keine Dokumentation der Aktion bzw. der ein­zelnen Ereignisräume, kein befried(ig)endes Inter­pre­ta­tions­an­ge­bot für Außenstehende. Einzelaktionen sind, was sie sind, nur für die direkt Be­tei­ligten, die Aktion existiert nur in diesem vergänglichen Zeit-Raum. Nach Beendigung der Aktion aufgenommene Fotografien der verlassenen Orte und Augen­zeugen­berichte der teilnehmenden Einzelgänger und Einzelgängerinnen bewahren Andenken und Ge­heimnis. Um mehr über das Geschehen zu erfahren, besteht weiter­hin die Möglichkeit, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.

Als Einzelgänger nahmen an der Aktion teil: Ute Meta Bauer, Erwin Bohatsch, Gunter Damisch, Peter Dressler, Harun Farocki, Marina Grzinic, Mona Hahn, Bettina Henkel, Matthias Herrmann, Judith Huemer, Katharina Koch, Manfred Pernice, Constanze Ruhm, Stephan Schmidt-Wulffen, Heimo Zobernig und eine Unbekannte.

A Transient Community

If one wanted to know what the other solo walkers had experienced one could approach them in the ‘interspace’. No single experience of what had taken place could gain an overview of the whole action, each story only offered extracts, fragments, perspectives. But on telling one anoth­er what had happened, one also no longer arrived so quickly at eva­lu­ation – which was anyway made more difficult by the unusual mode of involvement and the different nature of what was experienced. In the end it was less a question of the correct assem­bly of every story into an all-unifying overall plot but rather the chance of a transient commu­nity from the experiences of the solo walks.

Judgement always takes place starting from a fixed standpoint. But it was just this that was removed, thereby sabotaging the automatisms of evaluation and preconceived opinions, their reflex-like orientation on established patterns and gripholds. For this reason there is also no documentation of the whole action or the individual event spaces, no satisfying (and pacifying) provision of interpretation for outsiders. Solo actions are what they are only for the direct participant and consist of what happened and existed only for an ephemeral moment. Photo­graphs of the abandoned places, which were taken right after the action, and eyewitness accounts of the participating solo walkers retain memories and mystery. To find out more about what happened there is still the chance to contact them.

The following people took part as solo walkers: Ute Meta Bauer, Erwin Bohatsch, Gunter Damisch, Peter Dressler, Harun Farocki, Marina Grzinic, Mona Hahn, Bettina Henkel, Matthias Herrmann, Judith Huemer, Katharina Koch, Manfred Pernice, Constanze Ruhm, Stephan Schmidt-Wulffen, Heimo Zobernig and an unknown person.
Zur Arealen Aktion siehe auch Apathie und Areal. About the Areal Action see also Apathy and Areal.
Es war einmal happened on 9.6.2006 and was presented at the diploma exhibition 05/06 of the Academy of Fine Arts Vienna. The piece received an award of distinction.